Deutschlands Rennen auf dem Weg zur ersten klimaneutralen Großstadt

Dana - Montag, 21. November 2022 - 12:23 Uhr
stock.adobe.com @ Girts
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Die Europäische Union hat Modellstädte für die EU-Mission "100 klimaneutrale und smarte Städte" ausgewählt. Das Ziel: In der gesamten EU sollen 100 Kommunen bis 2030 klimaneutral werden. Der Ausstieg aus der fossilen Energie ist das Motiv hinter dem Bestreben, unsere Kommunen klimaneutral und lebenswert zu machen.

Die Großstadt als Pilotprojekt

Großstädte sind für das Ziel der Klimaneutralität wichtige Akteure, denn hier lassen sich die mit der Klimakrise verbundenen Effekte wie unter einem Brennglas betrachten. In einer großen Stadt ballen sich viele Faktoren, die für den CO2-Ausstoß relevant sind. Und auch die durch Energiewende, Mobilitätswende und Kreislaufwirtschaft angestoßenen Korrekturen und Kehrtwenden machen sich in der Großstadt am schnellsten bemerkbar. Hierzu tragen der höhere Energiebedarf und die deutlich größere Verkehrsdichte bei. Großstädte sind zudem Wärmespeicher und kühlen sich in Sommernächten weniger stark ab - Maßnahmen wie großflächige Begrünung und gezielte Belüftung wirken sich in Städten schnell positiv aus.

Die klimaneutrale Stadt ist eine lebenswertere Stadt

Hitzekarten von Städten helfen dabei, Hitzeinseln zu vermeiden. Mit diesen planerischen Instrumenten lassen sich Strategien anlegen, heiße innerstädtische Zonen aufzulösen und insbesondere in der warmen Jahreszeit eine bessere Luftqualität für die Bewohner zu erhalten. Gut geplante Begrünung für Städte ist ein effektives Konzept - das haben Städteplaner erkannt. Pflanzen reinigen die Luft und sorgen für ein angenehmes Mikroklima. Neben begrünten Fassaden sind auch horizontal installierte Hausgärten und Terrasse gut für das Stadtklima. Der Trend zum Urban Gardening hilft ebenfalls dabei, die Stadt zu kühlen und Luftschichten zu bewegen. Pflanzen nehmen CO2 auf und geben Sauerstoff ab und sorgen so für ein verträgliches Stadtklima.

Die Begrünung der Städte geht voran

Wachsende Städte und Klimaziele unter einen Hut zu bringen, verlangt eine nachhaltig organisierte Stadt. Erneuerbare Energien in Form von Photovoltaikanlagen auf und an Häusern und öffentlichen Gebäuden tragen ihren Anteil dazu bei. Grünpflanzen filtern nicht nur Feinstaub aus der Luft, sondern sind auch für die Biodiversität eines Ballungszentrums von entscheidender Bedeutung. Die Durchschnittstemperatur in einer Großstadt ist höher als auf dem Land, und die dichte Bebauung kann die Luftzirkulation erschweren. Dadurch sind die Belastungen durch Erwärmung schneller spürbar als anderswo. Mit der Nutzung von Nischen im urbanen Raum
lassen sich gesundheitliche und umweltverträgliche Effekte erzielen, die sich langfristig auswirken.

Klimaverträgliche Bauten und Verkehrsmittel

Bauten aus Holz scheiden bis zu 75% weniger C02 aus. Und im Gegensatz zu gängigen Mutmaßungen lässt sich bei richtiger Bauweise und mit dem Einsatz von Vollholz eine feuerfeste Struktur errichten, die sogar Bauten aus Stahlbeton in den Schatten stellt. Die Energieversorgung muss intelligenter werden und den tatsächlichen Bedarf zu jedem Zeitpunkt decken, um eine effiziente und nachhaltige Energiewirtschaft zu erzielen, die auf dem Weg zur klimaneutralen Großstadt einen wichtigen Anteil stellen.

Wenn Städte konsequent für Verkehrsmittel entworfen und umgestaltet werden, die umweltverträgliche und nachhaltige Verkehrsmittel in den Vordergrund stellt und Fahrten mit dem eigenen Auto unattraktiv macht, ist das ein Nudging mobiler Menschen, die auf dem Weg zur Klimaneutralen Stadt ein essenzieller Baustein sind.

100 Städte ziehen an einem Strang - deutsche Städte ziehen mit

Das internationale Netzwerk aus 100 Städten hat sich der Vision der klimaneutralen Stadt verschrieben und orientiert sich dabei am Global Green New Deal. Die Klimakrise wird von den C40-Teilnehmern des Netzwerk C40 als ein drängendes Problem erkannt, das sich nicht mehr auf die lange Bank schieben lässt. Handeln ist gefragt, wenn in den Großstädten der Zukunft noch ein lebenswertes Wohnen und Arbeiten möglich sein soll. Städte wie Amsterdam und Singapur gelten als Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit und Begrünung des städtischen Lebensraums. Insbesondere das auf Äquatorhöhe gelegene Singapur, deren Bewohner mit dem tropisch-feuchten Klima zurechtkommen müssen und wo die Temperaturen selten unter 30 Grad Celsius fallen, hat gezeigt, wie positiv sich Grünflächen auf das das Stadtklima auswirken.

Vorbilder für deutsche Städte: Kopenhagen und Singapur

Kopenhagen hat sich bereits im Jahr 2009 dem Ziel der Klimaneutralität verschrieben. Bis 2025 soll die dänische Hauptstadt klimaneutral sein. Umgesetzt wurden Konzepte in den Bereichen Stromerzeugung, Wärmeversorgung und Mobilität. Im Verkehrskonzept ist Kopenhagen seit vielen Jahren ein Vorbild für europäische Städte und bevorzugt konsequent die Verkehrsmittel Fahrrad und den Nahverkehr.

Dank der Begrünung der Metropole gilt Singapur heute als die Gartenstadt Asiens. In Verbindung mit einer strikten Verkehrspolitik, die konsequent den öffentlichen Nahverkehr fördert und den privaten Autoverkehr erschwert, ist die asiatische Metropole auch ein Vorbild für deutsche Städte, die sich auf dem Weg zur klimaneutralen Stadt machen. Seit dem Jahr 2017 dürfen in Singapur keine neuen Privatfahrzeuge mehr zugelassen werden.

Solch drastische Maßnahmen würden hierzulande auf vehementen Widerstand stoßen. Dennoch lässt sich auch schon mit einer Regulierung des Zugangs und mit verkehrstechnisch relativ einfachen Mitteln wie Pförtnerampeln ein Effekt erzielen.

Deutsche Städte und der Weg zur Klimaneutralität

Düsseldorf
Angesichts begrenzter personeller und finanzieller Ressourcen der Städte lassen sich nicht alle Maßnahmen, die wünschenswert wären, gleichzeitig umsetzen. Pragmatismus ist gefragt - auch bei einem so dringlichen Projekt wie der Klimaneutralität. Düsseldorf hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu werden. Hierzu setzt die Landeshauptstadt ein in der Energiewirtschaft bewährtes Prinzip ein, um eine Rangliste für die am effektivsten und nachhaltigsten C02-Maßnahmen aufzusetzen. Den Pfad zur Klimaneutralität hat Düsseldorf in Beschlüssen und Umsetzungskonzepten festgemacht.

Köln
Die rheinische Nachbarstadt Köln hat mit dem Klimarat Köln ein Beratungsgremium geschaffen, das Experten aus Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Wohnungsbau zusammenbringt. Bis zum Jahr 2030 sollen in allen relevanten Bereichen ehrgeizige Zwischenziele in den Bereichen Energie, Mobilität, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft erreicht werden. Die geplante Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen liegt zwischen 34 Prozent im Bereich Landwirtschaft und 67 Prozent im Bereich Gebäude.

Frankfurt
Frankfurt will bis 2036 klimaneutral sein und nimmt an der Cities Mission der EU-Kommission teil. Damit stehen der Main-Metropole 3,6 Millionen Euro zur Verfügung, die es zum Erreichen derKlimaneutralität einsetzen kann. Ein Klimareferat erarbeitet einen Klimaschutzplan, um eine Roadmap zu erarbeiten und ergebnisorientiertes Handeln zu ermöglichen. Im Vordergrund steht die energetische Sanierung, der Ausbau von Solaranlagen und die Förderung moderner und emissionsarmer Heizungsanlagen.

Gießen
Gießen hat für vier Projektblöcke Maßnahmen entworfen, um die Klimaneutralität zu erreichen. Neben den Bereichen Energie, Mobilität und Stadtentwicklung umfasst die auch den Komplex Bildung, Beratung, Öffentlichkeitsarbeit und Kompensation. Mit dem vierten Umsetzungsblock setzt die mittelhessische Universitätsstadt auf Auswirkungen, die sich durch Bewusstseinsschärfung und Vermittlung der Motive in der breiten Bevölkerung erreichen lassen. An dem Projekt 2035null sind Bürgerbeteiligung und Interesse der Gießener Bevölkerung am Thema bereits gut ablesbar. Auch wenn sich diese Maßnahmen nicht unmittelbar in einer C02- Reduzierung niederschlagen und messen lassen, sind sie für die langfristige Etablierung der klimaneutralen Botschaft in der Gesellschaft ein wichtiger und entscheidender Schritt.

München
Für München stehen auf dem Weg zur klimaneutralen Großstadt eine nachhaltig produzierte Fernwärme, der Einsatz von Geothermie und die energetische Sanierung im Vordergrund. Das ist nachvollziehbar, ist die Energiewirtschaft doch ein Schlüsselfaktor in einer Großstadt, die als Wirtschaftsmetropole und Sitz großer Industriekonzerne einen hohen Energiebedarf hat. Daneben stehen für München auch Umgestaltungen in den Bereichen Verkehr, Dienstleistung und Verwaltung auf dem Programm. Durch den Bau der zweiten Stammstrecke für die Münchener S-Bahn stellt sich die bayerische Metropole im Bereich Mobilität zukunftsgerecht auf. Leider ist mit dem Betriebsbeginn der neuen Strecke auf Grund von Verzögerungen erst mit dem Jahr 2037 zu rechnen.

Heidelberg und Mannheim
Ein innovatives Konzept verfolgen Heidelberg und Mannheim. Die Nachbarstädte arbeiten als Modellstädte für Klimaneutralität gemeinsam an der Umsetzung des Programms. Welche Synergien die Partnerschaft freisetzen wird, wird von allen Seiten spannend verfolgt, denn trotz ihrer unterschiedlichen Struktur hat sich das Partnernetzwerk bereits gut etabliert. Die durch Industrieansiedlungen geprägte Stadt Mannheim setzt in erster Linie auf Maßnahmen, die einer nachhaltigen und emissionsarmen Strom- und Wärmeerzeugung dienen. Heidelberg verfolgt ein ganzheitliches Konzept, um spätestens bis 2040 klimaneutral zu werden.